2. 60% aller Deutschen träumen von Verstorbenen – was dein Gehirn dabei wirklich macht

Träumen von verstorbenen Menschen: Was die Psychologie hinter diesen nächtlichen Begegnungen erklärt

Du wachst auf, und das Gefühl ist noch da. Gerade eben warst du noch im Gespräch mit deinem verstorbenen Vater, hast mit deiner Oma Kaffee getrunken oder einen letzten Spaziergang mit dem alten Freund gemacht. Diese nächtlichen Begegnungen mit Menschen, die nicht mehr leben, sind weit verbreitet – und längst nicht so mysteriös, wie sie auf den ersten Blick scheinen.

Tatsächlich berichten etwa 40 bis 60 Prozent der Menschen, die einen Verlust erlebt haben, mindestens einmal von einem Traum mit einer verstorbenen Person. Das ist kein Zufall und schon gar nicht übernatürlich – sondern ein faszinierender Einblick in die Arbeitsweise unseres Gehirns.

Warum träumen wir überhaupt von Verstorbenen?

Die Antwort liegt tief in unserem psychologischen Verarbeitungssystem. Wenn jemand stirbt, den wir kannten und mochten, hinterlässt das Spuren in unserem Gedächtnis – nicht nur die Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse, sondern auch emotionale Verbindungen, die unser Gehirn nicht einfach „löschen“ kann.

Der Traumpsychologe Dr. Joshua Black, einer der führenden Experten zum Thema Trauerträume, beschreibt, dass unser Gehirn im Schlaf Erinnerungen ordnet und emotionale Eindrücke verarbeitet. Dabei treten auch Bilder, Stimmen und Verhaltensweisen von geliebten Menschen ins Bewusstsein – selbst wenn sie nicht mehr leben.

Der neurologische Aspekt: Was passiert im Schlaf?

Während wir träumen, ist der präfrontale Kortex – der für logisches Denken zuständig ist – weniger aktiv. Gleichzeitig arbeiten emotionale Regionen wie die Amygdala besonders intensiv. Dadurch akzeptieren wir im Traum häufig Dinge, die im Wachzustand unlogisch erscheinen würden – wie etwa das Wiedersehen mit einem Verstorbenen.

Der Hippocampus, unsere zentrale Erinnerungsstruktur, spielt dabei eine Schlüsselrolle. Er aktiviert nicht nur bewusste Erinnerungen, sondern auch tief gespeicherte, unbewusste Eindrücke – etwa eine Stimme, typische Gesten oder sogar einen Geruch.

Die fünf häufigsten Arten von Träumen mit Verstorbenen

Psychologen haben beobachtet, dass diese Träume häufig in bestimmte Typen eingeordnet werden können – jeweils mit eigener psychologischer Bedeutung.

1. Der Abschiedstraum

Die verstorbene Person verabschiedet sich noch einmal bewusst. Diese Träume treten oft kurz nach dem Tod auf und helfen beim emotionalen Loslassen. Im Traum wird das Abschiedsritual nachgeholt, das im realen Leben vielleicht gefehlt hat.

2. Der Ratgeber-Traum

In diesen Träumen gibt die verstorbene Person Ratschläge oder Orientierung. Psychologisch gesehen verarbeiten wir hier oft, was wir von der Person gelernt haben – und rufen diese „innere Stimme“ im Traum hervor.

3. Der Alltags-Traum

Normale, alltägliche Szenen mit der verstorbenen Person – als wäre nichts geschehen. Diese Träume zeigen, wie stark manche Menschen in unseren Gewohnheiten und Tagesabläufen verankert waren.

4. Der Warntraum

Die verstorbene Person warnt vor Gefahren oder spricht kritische Hinweise aus. Dabei verarbeitet unser Unterbewusstsein oft eigene Ängste oder Unsicherheiten.

5. Der Wiedersehen-Traum

Ein friedliches, oft freudiges Zusammentreffen mit der verstorbenen Person. Diese Träume spiegeln den Wunsch nach Trost und die fortbestehende emotionale Verbindung wider.

Was sagt die Traumforschung dazu?

Forschende mehrerer internationaler Universitäten, darunter die Brock University in Kanada, haben festgestellt, dass viele Menschen solche Träume als tröstlich und heilend empfinden. Sie helfen dabei, emotionale Erlebnisse einzuordnen und persönliche Bedeutung im Verlust zu finden.

Traumforscher wie Joshua Black und Antonio Zadra betonen, dass solche Träume kein Zeichen mangelnder Trauerbewältigung sind, sondern oft ein natürlicher Teil der emotionalen Verarbeitung nach einem Verlust.

Der Unterschied zwischen Männern und Frauen

Männer berichten seltener über Verstorbenen-Träume – nicht unbedingt, weil sie diese weniger erleben, sondern weil sie anders darüber sprechen. Studien zeigen, dass beide Geschlechter ähnlich häufig solche Träume haben, aber Männer die emotionale Intensität oft geringer einschätzen oder weniger darüber reflektieren.

Die Rolle von Schuld und unerledigten Angelegenheiten

Häufig träumen Menschen von Verstorbenen, mit denen sie offene emotionale Themen hatten: ungelöste Konflikte, unausgesprochene Worte oder Schuldgefühle. Gerade bei plötzlich verstorbenen Angehörigen können solche inneren Spannungen im Traum auftauchen.

Der Psychologe Alan Siegel beschreibt, dass Gefühle wie Reue und Schuld häufig lebhafte Trauerträume begünstigen. Der Traum bietet eine Bühne, auf der das innere Bedürfnis nach Frieden und Aussöhnung Ausdruck findet.

Warum manche Menschen öfter träumen als andere

  • Emotionale Nähe: Je intensiver die Beziehung, desto höher die Wahrscheinlichkeit für solche Träume
  • Art des Todes: Traumatische oder plötzliche Sterbefälle erhöhen die Traumhäufigkeit
  • Persönlichkeitsstruktur: Empathisch veranlagte Menschen träumen oft lebhafter
  • Traumerinnerung: Manche erinnern sich besser an Träume als andere – losgelöst von der tatsächlichen Häufigkeit

Kulturelle Unterschiede in der Deutung solcher Träume

Während in Deutschland oft psychologische Erklärungen im Vordergrund stehen, gelten solche Träume in vielen anderen Kulturen als spirituelle Begegnungen. In vielen lateinamerikanischen Gegenden zum Beispiel sind Träume von Verstorbenen ein akzeptierter Teil des Dialogs mit Ahnen. Auch in Asien werden sie häufig als wichtige Botschaften verstanden.

Solche kulturellen Deutungsmuster beeinflussen nicht nur unsere Interpretation der Träume, sondern häufig auch die emotionale Wirkung, die sie auf uns haben.

Wann Verstorbenen-Träume belastend werden können

In den meisten Fällen sind Träume mit Verstorbenen harmlos oder sogar hilfreich. In einigen Situationen jedoch kann professionelle Unterstützung sinnvoll sein – insbesondere bei folgenden Anzeichen:

  • Der Traum stört den Schlaf dauerhaft und führt zu chronischer Müdigkeit
  • Er löst Ängste oder Panikreaktionen aus
  • Er ist so realistisch, dass man Realität und Traum nicht mehr gut trennen kann
  • Er führt zu längerfristiger Beeinträchtigung im Alltag

In solchen Fällen kann es hilfreich sein, mit Psychotherapeut:innen oder Trauerbegleiter:innen zu sprechen.

Praktische Tipps zum Umgang mit Träumen von Verstorbenen

Wenn dich solche Träume länger beschäftigen oder du sie besser verstehen möchtest, können folgende Ansätze helfen:

1. Traumtagebuch führen

Notiere den Traum direkt nach dem Aufwachen. Das hilft nicht nur beim Erinnern, sondern auch beim emotionalen Verarbeiten.

2. Nach Bedeutung suchen

Überlege, welche Gefühle im Traum präsent waren und ob ungelöste Themen damit verbunden sind. Diese Selbstreflexion kann Klarheit bringen.

3. Mit anderen sprechen

Gespräche mit vertrauten Menschen über diese Träume oder die verstorbene Person können neue Perspektiven und Entlastung bringen.

4. Entspannung fördern

Wer sehr belastet ist, kann mit Meditation, Achtsamkeit oder beruhigenden Abendroutinen für ruhigeren Schlaf sorgen.

Die heilsame Seite dieser Träume

Viele erleben Träume von Verstorbenen als wohltuend. Sie schaffen Raum für noch einmal erlebte Nähe, für Trost oder einen symbolischen Abschluss. Für manche ist es, als würde die verstorbene Person auf ihre Weise noch präsent sein – in einem inneren Dialog oder einer letzten Umarmung.

Dr. Deirdre Barrett von der Harvard Medical School hebt hervor, dass solche Träume vielen Menschen helfen, die Verbindung zu einer geliebten Person emotional aufrechtzuerhalten und daraus Trost zu schöpfen.

Fazit: Eine ganz normale Funktion des emotionalen Gedächtnisses

Träume von verstorbenen Menschen sind kein Zeichen für spirituelle Phänomene, sondern eine natürliche Reaktion unseres Gehirns auf Verlust, Erinnerung und emotionale Verarbeitung. Sie helfen uns, Trauer, Zuneigung und unausgesprochene Gefühle zu sortieren.

Ob du nun von einem letzten Rat deines Großvaters träumst oder eine alte Freundin noch einmal zum Lachen bringst – diese Träume zeigen, wie lebendig emotionale Beziehungen selbst über den Tod hinaus in uns fortwirken. Und genau darin liegt eine besondere Form der Heilung.

Welche Art von Verstorbenen-Traum hast du erlebt?
Abschiedstraum
Ratgebertraum
Alltagstraum
Warntraum
Wiedersehens-Traum

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