„Mir geht’s gut, wie geht’s dir?“ – Warum wir unsere Stimmung verbergen
Wir alle kennen es: Ein flüchtiges „Wie geht’s?“ am Kaffeeautomaten – und fast reflexartig kommt die Antwort „Gut, danke!“, auch wenn wir uns ganz anders fühlen. Dieses Phänomen ist nicht neu, es hat sogar einen Namen: Emotionale Maskierung. Unsere wahren Emotionen verstecken wir oft, um Erwartungen zu erfüllen oder gesellschaftlichen Normen zu entsprechen.
Doch was steckt hinter dieser Fassade? Warum ist es oft so schwierig, ehrlich über unsere Gefühle zu sprechen? Und welche Auswirkungen hat das auf unsere Psyche?
Die kultivierte Rolle der Emotionskultur in Deutschland
In Deutschland gelten Gefühle häufig als etwas, das man lieber für sich behält – besonders im beruflichen Umfeld oder im alltäglichen Smalltalk. Die sogenannten „Display Rules“ diktieren, wie und wann wir Emotionen zeigen dürfen. Schon früh lernen wir, dass es manchmal besser ist, echte Gefühle zu verbergen. Sätze wie „Reiß dich zusammen“ oder „Das wird schon“ verstärken diese Einstellung.
Männer und das gesellschaftliche Ideal der Kontrolle
Besonders Männer sind betroffen. Die gesellschaftliche Erwartung, stark und kontrolliert zu erscheinen, führt dazu, dass viele Männer ihre Emotionen unterdrücken. Studien zeigen, dass dies nicht nur den Austausch mit anderen erschwert, sondern auch den Zugang zu den eigenen Gefühlen behindert und die emotionale Verbundenheit mindert.
Wie emotionale Maskierung unser Gehirn belastet
Wenn wir unsere Emotionen unterdrücken, fordert das unser Gehirn extrem heraus. Der präfrontale Kortex arbeitet gegen emotionale Impulse aus dem limbischen System, was zu einer kognitiven und emotionalen Belastung führen kann. Die Folge: Unser Stresslevel steigt, mit potenziell negativen gesundheitlichen Auswirkungen.
Der Teufelskreis der Selbstverleugnung
- Selbsttäuschung: Wenn wir nicht ehrlich sind, belügen wir uns oft auch selbst.
- Isolation: Ohne ehrliche Gespräche fällt es schwerer, Unterstützung zu finden.
- Stress: Ständige Kontrolle ist kräftezehrend und schränkt unsere Flexibilität ein.
- Problemverschärfung: Verborgene Probleme können sich verstärken und gesundheitliche Folgen haben.
Dr. Susan David spricht von emotionaler Starrheit, einem Zustand, der oft mit Depressionen, Angststörungen und sogar physischen Beschwerden einhergeht.
Die Tücken des Smalltalks
Das harmlose „Wie geht’s?“ ist meist nur Funktion der phatischen Kommunikation – das bedeutet, der Inhalt ist nebensächlich und nur das soziale Miteinander zählt. Wer ehrlich antwortet, riskiert, als zu emotional zu gelten. Doch: Die Pandemie hat uns gezeigt, dass echtes Interesse aneinander eine heilsame Wirkung haben kann. Viele fanden Mut, ehrlicher zu sein, was Raum für echte Gespräche schuf.
Die Macht der Ehrlichkeit: Was bei offener Kommunikation passiert
Studien belegen, dass ehrliche Gespräche eine Reihe positiver Effekte haben:
- Tiefere Verbindungen: Ehrlichkeit fördert das Vertrauen und eröffnet neue Möglichkeiten zum Austausch.
- Weniger Stress: Die Last der Verstellung entfällt und wir gewinnen an geistiger Freiheit.
- Neue Lösungsansätze: Offene Gespräche führen oft schneller zu kreativen Lösungen.
- Mehr Authentizität: Beziehungen werden stabiler und erfüllender.
Drei Hauptängste hinter dem „Mir geht’s gut“
1. Angst vor Zurückweisung
Viele haben Angst, ehrlich zu sein, um unangenehm aufzufallen oder abgelehnt zu werden. Studien zeigen jedoch: Echtheit wird häufig als sympathisch empfangen.
2. Angst, als schwach zu gelten
Besonders Männer haben Angst, verletzlich zu wirken – dabei ist Verwundbarkeit ein Zeichen von Stärke und Vertrauen.
3. Angst vor beruflichen Konsequenzen
Im Berufsleben kann zu viel Offenheit manchmal unangebracht sein. Doch es gibt einen Mittelweg zwischen kompletter Verstellung und unangemessener Ehrlichkeit.
Strategien für mehr emotionale Ehrlichkeit
Den richtigen Ton finden
Extreme vermeiden: Statt „alles gut“ oder „alles schlecht“ lieber sagen: „Es ist ein durchwachsener Tag“ oder „Ich bin heute etwas angespannt“.
Vertraute wählen
Wir müssen nicht jedem alles erzählen. Aber mit den engen Vertrauten hilft es, offen zu sein.
Innere Klarheit gewinnen
Regelmäßiges Innehalten und Reflektieren hilft, die eigenen Gefühle besser wahrzunehmen und zu kommunizieren.
Echter Umgang mit Emotionen
Das Ziel ist nicht, immer und überall alles preiszugeben. Aber ein bewusster und mutiger Umgang mit unseren Gefühlen beeinflusst unsere Beziehungen, die mentale Gesundheit und letztlich unser Wohlbefinden positiv.
Sei mutig und ehrlich, wenn es darauf ankommt, und du schaffst Raum für mehr Nähe und Authentizität. Also: Wie geht es dir – wirklich?
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